Beerdigungsansprache von Archimandrit Dr. Abraham-Andreas Thiermeyer am 9. Juni 2021 – Texte: Joh 6,37.39-40Liebe Anke, werte Angehörige und Freunde unserer lieben Frau Hannah Samtleben, liebe Kollegs-Gemeinschaft, werte Trauergemeinde!Wenn wir Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten, wenn wir von ihnen Abschied nehmen, dann erhebt sich die Frage nach dem Woher und dem Wohin des Menschseins überhaupt, nach Sinnoder Unsinn eines Lebens. Für uns Zurückbleibende ist jeder Tod zugleich die Frage nach derSichtweise unseres Lebens: Was ist für uns der Tod? Ende oder Neuanfang? Egal, wie wir den Todsehen: Er wird uns immer wieder zum Nachdenken bringen; denn es sind nur ein paar Schritte, bis wirauch so weit sind. Was sind die Konsequenzen für unser Leben aus solchen Gedanken? Sind wir einZufallsprodukt aus dem Nichts für das große Nichts und Dunkel? Oder ist da doch mehr, ja vielleichtdoch ein Schöpfergott, der uns gewollt und geliebt hat?Für uns gläubige Christen ist dies eindeutig zu beantworten:Wir Menschen in unserem irdischen Dasein, sind von Ewigkeit her gewollt. Gott hat uns in Liebeerschaffen – zum Leben und zum Lieben, mit all‘ unseren Fähigkeiten und Unfähigkeiten. Gott hat unsin unserer Schuld nicht allein gelassen, sondern erlöst. Gott hat es nicht bei unseren Schwächen undDefekten belassen, sondern in seiner Barmherzigkeit und Liebe hat er uns auferweckt, vollendet undgeheiligt zum ewigen Leben.Unter dieser christlichen Sichtweise unseres Menschseins ist auch das Leben unserer heimgegangenen Schwester Hannah Samtleben zu sehen:Sie wurde am 22. April 1928 in Celle geboren. Ihre Mutter war Anna Maria, geb. Silomon, sie kam aus Aurich, Ostfriesland. Ihr Vater, Clemens Knors,Oberstudienrat, kam aus dem Rheinland. Diese Mischung norddeutscher Zurückhaltung und rheinischer Frohnatur und Geselligkeit haben unsereFrau Hannah geprägt.Sie wuchs als Jüngstes von drei Mädchen mit ihren Schwestern Elisabeth und Ursula auf. IhreSchulausbildung bis zum Abitur machte sie in Celle. Nach dem Abitur ging sie nach Hamburg, hat dortfür das Lehramt studiert und unterrichtete dann an der katholischen Schule in Blankenese. Dies warfür sie eine unbeschwerte Zeit, in der sie Reisen und andere gemeinsame Unternehmungen mitjungen Menschen unternahm. Einige Freundschaften von damals hielten bis zu ihrem Tod an. Entscheidend wurde für ihr Leben das Jahr 1956. Sie erhielt damals das Angebot, in Lima/Peru an derdeutschen Schule zu unterrichten. Wie sie immer wieder sagte: „Hamburg ist ja schön, aber dortsterben? Nee!“ Also nahm sie das Angebot an. In Lima wurde sie sehr liebevoll von Familie Kochaufgenommen und lernte Claus Samtleben, der damals ebenfalls einen Arbeitsauftrag in Lima hatte,kennen. Besser gesagt: Er sah sie vom Fenster seines Büros aus, wie er mir einmal erzählte: „Da gingeine junge, blonde, große und hübsche Maid vorbei: Da war mir klar: Die und keine andere!“ DieHochzeit fand 1957 statt, ihr Sohn Christian wurde 1958 geboren, ihre Tochter Anke 1961. In dieserZeit schlossen sich einige der deutsch-peruanischen Familien zusammen, die gemeinsameWochenendtreffen machten. Aus dieser Zeit gab es bis zu Hannahs Tod noch Kontakte. Im Jahr 1965entschied sich die Familie Samtleben, Peru aufgrund der politischen Lage zu verlassen. Sie fandenzuerst in Diedelsheim bei Karlsruhe, dann in Bretten eine neue Heimat. Die in Peru geschaffeneVerbindung und daraus gewachsene Freundschaft zu Familie Neff war für den beruflichen Werdegangvon Herrn Samtleben und für die ganze Familie wichtig. Frau Hannah war bis zum Eintritt insRentenalter als Lehrerin tätig. Ihre erwachsenen Kinder verließen nach und nach das Haus. Hannahund Claus reisten nun viel und gerne mit ihrem VW-Bus durch die Lande. Da sie Spanisch sprachen, war der Jakobsweg ihre große Freude. Regelmäßige Feiern mit den Freunden und deren Kindern waren in Bretten normal. Durch Hannahs Aufgeschlossenheit und Kontaktfreudigkeitlernten sie und ihr Claus, vermittelt durch ihre langjährigen Freunde Ute und DieterHamann den Oriens-Occidens-Kreis kennen. 1991 hörte Frau Hannah durch sie voneinem Seminar in Venedig mit dem Titel: „Schnittpunkt von Ost und West in Kirche, Politikund Kultur“. Spontan fragte sie, ob sie und ihr Ehemann Claus daran teilnehmen dürften.Wie sie später einmal sagte, hatte sie weder von diesem Thema noch von den Ostkirchennoch von sonst irgendwas eine Vorstellung und außer den Hamanns kannte sie ausdiesem Kreis niemand. Da in Venedig dieses Seminar am Ende mit derGründungsversammlung von Oriens-Occidens e.V. abgeschlossen wurde, und dasEhepaar Samtleben so begeistert war, traten sie ohne zu zögern dem Verein bei undwaren von Anfang an treue und überzeugte Gründungsmitglieder. Hannah wurde vor dreiJahren sogar die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Hannah und Claus haben Seminare,Tagungen und Auslandsreisen mitgeplant und mitorganisiert. Mit wachsender Kenntniswuchs ihre Begeisterung für die Ostkirchen und vor allem für den byzantinischenGottesdienst und die ostkirchliche Spiritualität. Wegen der Kinder und Enkelkinderentschied sich die Familie Samtleben 1991, nach Affing bei Augsburg umzusiedeln. Durchdie Gründung des Collegium Orientale 1998 war plötzlich so ein „Schnittpunkt von Ostund West“ in ihren erreichbaren Alltag gelangt. Mit dieser Einrichtung, ihren Aufgaben undihrem Fortbestand fühlten sich beide ein Leben lang verbunden und haben diesenNeuanfang mitgetragen. Nach dem leider allzu frühen Tod ihres Mannes Claus (1999)wuchs bei Frau Hannah wegen ihrer Verbundenheit zu Mitgliedern von Oriens-Occidensund dem COr, auch aus Liebe zu ihrem Mann, der gerne bei uns in Eichstätt war, derWunsch, ganz nach Eichstätt umzusiedeln. Durch ihre offene und liebenswürdige Art, ihre Spontanität und ihr Interesse an den Menschen, die ihr begegneten, fand Frau Hannah sehr schnellAnschluss in der Umgebung, in der sie nun wohnte, vor allem im COr bei den Studenten, deren Sorgen und Anliegen bei ihr stets ein offenes Ohrfanden. Das hat schnell dazu beigetragen, dass sie hier in Eichstätt in Verbindung mit dem COr für viele Jahre das Gefühl haben durfte, gebraucht zuwerden, und so ein erfüllendes „Zuhause“ fand. Sie stellte ihre Hilfe und stückweit ihr Leben in den Dienst von Oriens-Occidens und vor allem in denDienst der Studenten im COr. Die Kollegiaten gingen bei ihr ein und aus, sie lernten von ihr Deutsch – nicht Bairisch! – und wurden bei derFertigstellung ihrer Prüfungsarbeiten tatkräftig unterstützt, oft auch in der Nacht. Mit Engelsgeduld und größter Liebenswürdigkeit hat sie vieleSeminar-, Diplom- und Lizentiatsarbeiten hinsichtlich der deutschen Sprache begleitet. Für viele Studenten ist sie zur verstehenden Oma, Trösterinund Helferin in verschiedenen Nöten geworden.Meine Lieben, durch eine kleine, mutige und spontane Frage, die Hannah damals etwas verlegen in Venedig stellte, hat sich ein Lebenslauf verändertund so viel Gutes bewirkt. Ein Unfall in Assisi warf sie gesundheitlich sehr zurück und es kostete sie viel Mühe und Kraft wieder auf die Beine zukommen. Gerne besuchte sie immer wieder Celle, Hamburg, ihre Kinder, Verwandte und Freunde. Freundschaften wurden vor allem per Brief undstundenlange Telefonate gepflegt. Als 2016 ihr Alltag immer beschwerlicher wurde, entschied sie sich, ihren letzten Lebensabschnitt im Heilig GeistSpital/Eichstätt zu verbringen. Auch dort war sie schnell allseits bekannt und durch ihre fröhliche Art sehr beliebt. Bis zum Schluss war sie einer ihrerLebensweisheiten treu geblieben: „Man muss das Leben anlachen.“ Sie hat nicht nur das Leben geliebt und angelacht, sie hat vor allem unsangelacht und angestrahlt. Und dafür sind wir ihr über ihren Tod hinaus dankbar.Frau Hannah Samtleben war ein „homo viator“: Sie hat viele Zeiten, Stationen, Veränderungen und Bleiben durchschritten, um „heimzukommen“. IhreUr-Sehnsucht nach dem „Daheim-sein“ und dem großen „DU“ hat sie zu Gott und den Menschen gedrängt.Die Antwort auf unsere tiefe Lebenssehnsucht nach Verständnis, Geborgenheit und Liebe geben uns, die wir noch hier auf Erden weilen, die Texteder hl. Schrift. Sie sind die Grundlage unseres Glaubens und unserer Hoffnung:- Das Leid und der Tod sind nicht ewig: Gott beseitigt sie, er erlöst uns.- Gott wischt die Tränen der Sorge und Liebe ab: Das Leid ist nicht ewig.- Gott nimmt die Schande und die Defizite hinweg: Schuld ist nicht ewig.Der Prophet Jesaja (Jes 25,8f.) ruft bereits vor 2500 Jahren der Menschheit zu: „Seht da, das ist unser Gott! Das ist unsere Hoffnung, die uns rettet!“Und der 2000 Jahre alte Text aus dem Johannesevangelium, den wir soeben gehört haben, umschreibt das Ziel unseres Menschseins beimHinaustreten aus dieser Welt noch deutlicher: „Alle, die der Vater mir gibt, werden zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen; ich habe ihm einen Platz bereitet beimeinem Vater im Himmel. Ich lasse sie nicht zugrunde gehen, sondern ich werde sie auferwecken am jüngsten Tag.“ Heimkommen und aufgehoben sein in Gott, wirklich einen Platz und ein „Daheim-sein“ haben, das ist das Ziel unseres Lebensweges: Gott ist andersals wir Menschen, bei ihm sind wir nicht diejenigen, die gerade jetzt stören, weil wir jetzt vielleicht alt und unbrauchbar geworden sind. Er fragt nicht,ob wir ganz gesund oder ganz intelligent sind, ob wir genügend bezahlen können oder das richtige Gebetbuch haben. Er lädt uns einfach ein: Ich binfür dich da, ich bin dein Daheim, ich weise dich niemals ab. Ruh’ dich aus. Er will uns auch dann, wenn niemand mehr uns haben möchte. Dies sagtuns das Johannes-Evangelium ganz klar: Es ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrundegehen lasse, sondern dass ich sie auferwecke am jüngsten Tag.Meine Lieben! Dies ist die tröstliche Botschaft unseres Glaubens. Geben wir, die wir noch leben, die wir noch Zeit haben, diesen Glauben an unsereKinder, Enkelkinder, Verwandte und Freunde weiter. Es gibt keine tröstlichere Botschaft beim Sterben als die: Wir haben Heimat und Geborgenheit in der Hand Gottes, in die wir geschrieben sind, dieuns angenommen hat in dieses Leben, der uns niemand entreißen kann, und die uns auch nicht abweisen wird im ewigen Leben, denn sie ist gütig,gnädig, barmherzig und menschenliebend. Bei IHM sind wir wirklich „daheim“. In diesem Glauben dürfen wir leben, in diesem Glauben dürfen wirsterben. Amen.